Doctor mellifluus

Im Frühjahr des Jahres 1113 (wohl zwischen dem 21. März und dem 21. April) zieht eine Gruppe von 30 jungen Edelleuten nach Cîteaux. Angeführt wird sie von Bernhard von Fontaines (1091-1153), darunter auch vier seiner Brüder und sein Onkel. Der 22jährige und seine Gruppe scheinen das neue Kloster in Cîteaux bewußt heraus gesucht zu haben. Denn schon ein halbes Jahr zuvor hatten sie sich auf das gemeinschaftliche Leben im Kloster vorbereitet. Die besondere Strenge im novum monasterium scheint sie dabei besonders angezogen zu haben. Ihr Eintritt löst eine ganze Welle der Begeisterung für das neue monastische Ideal aus, die die beispiellose Ausbreitung des Zisterzienserordens über ganz Europa erst möglich gemacht hatte.

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"Man gewinnt den Eindruck, dass alles, was von burgundischen Adligen den Werbungen der Kluniazenser noch widerstanden hatte, jetzt in die Klöster eintrat... Bedingungsloser Lebenseinsatz kennzeichnet den Geist der neuen Stiftungen im Leeren. Die Askese der Mönche hat ihre Lebenserwartung von 28 Jahre herabsinken lassen. Bedenkt man, dass diese Jugend nie vor dem 15. Lebensjahr, oft erst nach dem 21., wie der hl. Bernhard, ins Kloster ging, so ergibt sich, dass Zisterzienseraskese im Durchschitt nur rund ein Dutzend Jahre auszuhalten war... Der Kampf des Ordens gegen jeden Aufwand, gegen alles, was die Aufmerksamkeit von der Betrachtung Gottes ablenken könnte, war ein radikaler. Eben sein Radikalismus vereinte die Jugend des 12. Jahrhunderts und ließ in ihr den Glauben entstehen, durch den extremen Verzicht auf alle weltlichen Güter die Welt erlösen zu können. In Männerbünden wetteiferten die einzelnen um die Stufen der Askese. Der Kampf richtete sich in gleicher Weise gegen die Wissenschaft, die Literatur, die bildende Kunst. Er währte mehr als 100 Jahre, und war doch von vornherein ein verlorener." (Braunfels, Wolfgang, Abendländische Klosterbaukunst, Köln, 4.Aufl. 1980, S. 113f)

Schon wenige Wochen nach ihrem Eintritt legen die neuen Novizen das Ordensgelübde ab. Und nur zwei Jahre später entsendet der Abt Stefan Harding Bernhard mit zwölf Brüdern nach Clairvaux. Die dritte Gründung von Cîteaux ist eine Stiftung des Grafen der Champagne, vermittelt über Verwandte des Edelmannes aus Fontaines. Mit ihm ziehen vier seiner Brüder, ihr Onkel und zwei Vettern. "Damit war der Gründungskonvent fast geschlossen in der Hand der Familie Bernhards." (Eberl, Immo, Die Zisterzienser. aaO. S. 41). Das Lichte Tal (lat. clara vallis) entwickelt sich schnell zum Modell für den ganzen Zisterzienserorden. Oft wird Bernhard fälschlicherweise für den Gründer des Zisterzienserordens gehalten - denn keine andere Person hat die weitere Entwicklung des Ordens so beeinflusst wie er. Zweiundsiebzig Neugründungen gehen persönlich auf Bernhard zurück (Braunfels, aao.S 113, 68 nach Pfister, aaO. S. 19). Immer wieder hat er direkt oder indirekt in die Geschicke des Ordens eingegriffen, obwohl ihm der Abt von Cîteaux übergeordnet war.

Der charismatische Geist des jungen Abtes lässt ihn zu einem der einflussreichsten Persönlichkeiten des 12. Jahrhunderts werden. Könige und Päpste hören auf ihn und Bernhard nimmt geschickt Einfluss auf die Entwicklungen seiner Zeit. 1130 vermittelt er im Papstschisma zugunsten von Innozenz II., 1145 wird einer seiner Schüler selbst zum Papst ernannt (Eugen III. - Bernardo Paganelli, selbst Abt eines Zisterzienserklosters). Auf sein Drängen hin lässt Bernhard sich dazu bewegen, als Prediger erfolgreich in Frankreich, Deutschland und Flandern für den zweiten Kreuzzug zu werben (ab 1146).

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"Es muss eine begeisternde Überzeugungskraft von dieser mittelalterlichsten unter allen mittelalterlichen Heiligengestalten ausgegangen sein. In seiner Persönlichkeit verbanden sich theologischer Scharfsinn, unbegrenzte Tatkraft einem gleich grenzenlosen Askeseverlangen. Jedes Wort, das er gesprochen oder geschrieben hat, ist von einem bewzingenden Lyrizismus durchwirkt gewesen, der eine ganze Jugend für den Klostergedanken erwärmte. Berhards unbegrenzte geistige Macht vermochte sein Jahrhundert in das Zeitalter der weißen Mönche zu verwandeln." (Braunfels, aa.O., S. 113)

Sein asketischer Geist, seine theologische Brillanz und seine tiefe mystische Frömmigkeit wirken weit über seine Zeit hinaus. Das geistige Leben und die Ausprägung des Zisterzienserordens werden maßgeblich von ihm beeinflußt. Bernhard verleiht den asketischen Grundzügen von Cîteaux ihre prägende Gestalt. Diese findet ihren Ausdruck in den Bauvorschriften des Ordens ebenso wie in den Gewohnheiten ihres Klosterlebens. Sein phantastisches Rede- und Schreibtalent? brachte ihm den Ehrentitel "Doctor mellifluus" ein (Honigfließender Lehrer, vgl. dazu Leroux-Dhuys aaO. S.34).

Unter seinem Einfluss gewinnt die Marienverehrung im Orden seine ausgeprägte Bedeutung. Der Minnegedanke des 12. Jahrhunderts wird von Bernhard spirituell umgedeutet. Unter seinem Einfluss werden die Zisterzienserklöster von Beginn an zur Ehre Mariens gegründet und ihre Kirchen "unserer lieben Frau" gewidmet. Eine Marienstatue war das einzigste bildliche Kunstwerk, das im asketischen Rahmen des Klosters gestattet war. Und mit dem 'Salve Regina' beendeten die Mönche ihren Tag als Schlussgesang der Komplet in allen Klöstern.

Im Jahre 1153 stirbt Bernhard von Clairvaux, verbittert über den Mißerfolg des zweiten Kreuzzuges, für den er sich so eingesetzt hatte. Er war zur Zielscheibe der Kritik geworden und sah sich selbst mit verantwortlich für das Fiasko der Niederlage. 1174 wurde er in der Abteikirche von Clairvaux heiligesprochen, in der er begraben wurde und die zu seinen Ehren durch einen runden Chorumgang erweitert wurde.

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"Wenn Ihr es eilig habt, verinnerlichte Menschen zu werden, dann lasst Eure Körper draußen. Hier treten nur Seelen ein. Das Fleisch dient zu nichts." Der Hl. Bernhardt, bei der Aufnahme von Novizen in Clairvaux