Spätere Ausweitungen

Auch wenn das Bauschema eines Zisterzienserklosters durch die Bestimmungen des Generalkapitels und die Visitation der Mutterabtei streng geregelt wurde, gab es jedoch von Anfang an Tendenzen und Versuche diese Verbote zu umgehen. Und obwohl die charakteristischen Bestimmungen auch in späteren Zeiten immer formgebend blieben (vgl. nächstes Kapitel) ließen sich manche Entwicklungen nicht aufhalten. Diese setzten sich auf ganz verschiedene Weise mit den klassischen Bauverboten der Zisterzienser auseinander:

 

1. Umgehung des Turmverbots

Das Turmverbot wurde lange als Charakteristikum einer Abteikirche durchgehalten und wurde auch von anderen Orden übernommen (so fast alle Bettelorden). Bis zum Ausgang des Mittelalters finden wir Türme nur da, wo sie aus Verteidigungsgründen möglicherweise notwendig waren (z.B. in La Rueda, Spanien). Erst im späten Mittelalter finden sich Türme als repräsentative Bestandteile eines Gotteshauses (z.B. in Fountains).
Die Barockzeit setzt sich später über das Turmverbot hinweg (Ausnahme z.B. Himmerod) und so finden wir bei der Gestaltung der barocken Klosterkirchenfassade die klassische monumentale Zweiturmlösung (z.B. Schöntal, Alcobaca), oder etwas bescheidener aber nicht weniger herrschaftlich anmutend eine Einturmfassad (z.B. in Zwettl). Fast üblich wird zu dieser Zeit zumindest der flankierende Chorkirchturm mit barocker Haube und Geläut (siehe Heiligkreuz) und unterscheidet die Klosterkirche kaum noch von einer üblichen Pfarrkirche.

 

2. Vom Dachreiter zum Vierungsturm

Statt prächtiger Vierungstürme, wie sie die Kirchen Cluniazenser kannten, erlaubten die Zisterzienser nur einen einfachen hölzernen Dachreiter der einzig und allein einer kleinen Glocke für die Gebetszeiten Platz bot. Dieses Gebot wurde schon sehr früh umgangen. Immer wieder setzte sich das Generalkapitel mit überdimensionierten Dachreitern auseinander, die längst zu stattlichen Türmen ausgebaut wurden (Chiaravalle Milanese, Poblet, Santes Creus, Bebenhausen, Kaisheim). Das Turmverbot wurde so durch repräsentative Dachreitertürme umgangen. Und gelegentlich forderte dies das Generalkapitel auch zum Durchgreifen auf und zwang die Tochterklöster, das Bauvorhaben zu stoppen oder wieder rückgängig zu machen.

Zitat: Strafe an Bebenhausen

 

3. Der erweitere Chor

Das asketische Verlangen der Zisterzienser sträube sich vor allen aufwändigen Baulösungen, die die funktionalen Anforderungen des Klosterlebens überschritten. Dazu gehört auch der Rundchor und sämtliche Verzierungen. Ein einfacher rechteckiger Chor sollte den Erfordernissen genügen, weitere kleine Rechteckchöre in den Querschiffen dienten den Privatmessen der Priestermönche.

  • Doch gerade diesen liturgischen Anforderung konnten die baulichen Lösungen bald nicht mehr entsprechen. Nichts lag näher als die Chorwand des Rechteckchores mit Bögen zu durchbrechen und durch kleinere Kapellen nach außen zu ergänzen (Otterbach, Georgenthal, Arnsburg).
  • Bei Klöstern mit einer großen Zahl von Mönchen reichte dies nicht aus. Ein einfacher Umgang um den Rechteckchor herum erlaubte ein Dutzend zusätzlicher Seitenkapellen (Cîteaux II, Morimond, Ebrach, Riddagshausen, Amelunxborn).
  • Die zum Teil schwierige architektonische Anordnung der Kapellen im Rechteck ließ sich mit einem gänzlichen Verzicht auf den gerade geschlossenen Chor verbessern. Ein einfacher Rundchor mit Umgang und kleinen im Fächer angeordneten Kapellen (Claivaux III, Heisterbach) bot eine ästhetisch ansprechendere Lösung.
  • Ein gänzlicher Neubau im jeweils zeitgemäßen gotischen Stil des Umgangs- oder Hallenchores sprengte das übliche Schema ganz (Royaumont, Ourscamp, Pontigny, Altenberg, Kaisheim, Varnhem, Heiligenkreuz, Heilsbronn).


Die Auseinandersetzung mit funktionalen Chorlösungen zeigt allerdings deutlich die Grenzen von Ideal und Wirklichkeit, die letztlich zu einer Auflösung der restriktive Bauvorschriften führte.

 

4. Umgang mit Ornament und Farbe

Am nachhaltigsten wirkte sicher der Verzicht auf Ornament und Farbe. Auch wenn gelegentlich prächtige bunte Maßwerkfenster vor allem im monumentalen Westfenster (Altenberg) oder der Fensterrose (Otterbach, Ebrach) zu finden sind, halten die Zisterzienser auch im Barock schmucklosen Glasfenstern die Treue (Schöntal). Und auch spätere Kirchbauten in der Hoch- oder Spätgotik verzichten weiter auf figürliche Darstellungen – erlauben allenfalls prächtiges Maßwerk (Salem) und überzeugen durch funktionalen und klaren Wandaufriß. Selbst in der Barockzeit wirkt die Dekoration maßvoll (Schöntal) oder passt sich den vorhandenen Baustrukturen (Ebrach, Troisfontaines) mit Stuck oder Zierelementen an, die keinesfalls störend wirken.

 

5. Neue Anordnung der Klosterräume

Den Bedürfnissen der Zeit entsprechend wurden Teile der Klostergebäude erneuert oder (oft nach Bränden) neu errichtet. Zuweilen erstreckte sich der Neubau der Abtei auf erweiterte Bereiche im Ostteil der Anlage (Zwettl, Alcobaca), gerne auch auf den Westbau, der zu einer repräsentativen Abtei umgebaut wurde (Ebrach, Bellevaux, Morimond).
Schon vor der Auflösung vieler Klöster durch Revolution und Säkularisation fielen die baufälligen mittelalterlichen Gebäude der Spitzhacke zum Opfer und wurden durch prächtige schlossartige Gebäude mit lichten Räumen und großen Innenhöfen ersetzt (Clairvaux, in Cîteaux begonnen, Schöntal, Stams, Viktring). Das Bedürfnis nach heizbaren Räumen und privaten Klosterzellen im Geschmack der Barockzeit wurde in vielen auch vorhandenen Gebäuden durch Umbauten ermöglicht.