Die Frage nach dem Stil

Betritt oder nähert man sich einem Raum in eines Zisterzienserklosters, so hat man den Eindruck, etwas vertrautem, typisch zisterziensischem zu begegnen. Viele Gebäude des Ordens strahlen eine elegante Souveränität aus und beachten dennoch die vom Orden auferlegte Zurückhaltung, so dass sich aus den wenigen bekannten Einschränkungen der mittelalterlichen Ordensbaukunst eine typisch zisterziensische entfaltet. Die Raumästhetik, der Aufriss von Wänden, Giebeln und Fassaden, die Technik und Gestaltung der Wölbung, Bodenfliesen und Fenster, ja sogar das Mauerwerk und die wenige vorhandene Bauplastik ähneln sich in einem Maße, dass man geneigt ist von einer einheitlich-gestalterischen Ästhetik zu sprechen.

 

Ob diese Feststellung jedoch gerechtfertigt ist, wird in der Forschung immer wieder bestritten. Zu recht wird darauf hingewiesen, dass die selben mittelalterlichen Gestaltungselemente, ja auch Raumempfinden, Bogen- und Gewölbe sich auch bei anderen Gebäuden der jeweiligen Epoche wieder finden. Dazu gibt es bei jedem Zisterzienserkloster direkte und lokal nachweisbare Verbindungen zu anderen, nicht mit dem Orden verbundenen Bauprojekten, die eher einen Einfluss auf die Bauvorhaben des jeweiligen Klosters schließen lassen. Je genauer wir die Sachlage untersuchen, desto fragwürdiger wird es, von einer einheitlichen, vom Orden gesteuerten zisterziensischen Baukunst zu sprechen.

 

Anders herum lassen sich tatsächlich zahlreiche stilistische Beeinflussungen der Ordensbaukunst innerhalb des Ordens, ja manchmal sogar in der direkten Filiation nachweisen. Idealplan und strikte Bauvorschriften des Ordens wirkten zusätzlich wie eine Matrix für neue Bauprojekte, die im Rahmen der lokalen und zeitlichen Vorgaben einen als typisch zisterziensisch empfundenen Raum schufen. Dazu ergeben sich stilistische Ähnlichkeiten über einen weit von einander entfernten Raum, sodass Bauteile, Fensterformen oder Raumteile im Süden Europas sich zum Teil nur wenig von Bauvorlagen aus dem Norden unterscheiden.

 

Berücksichtigt man zusätzlich, dass Zisterzienserklöster nicht selten Bauhütten in ihrer Umgebung direkt und mit Einsatz ihres Personals und Wissens unterstützten (z.B. beim Bau von Kirchen, Schlösser oder Burgen), so kann man die Beeinflussung zumindest als Wechselwirkung bezeichnen. Der Einfluss der Zisterzienser auf die Ausbreitung der Gotik in Europa ist ebenso umstritten, wie die Frage einer einheitlichen zisterziensischen Baukunst. Selbstverständlich hatte sich die Gotik auch unabhängig vom Orden über Europa verbreitet. Die Multiplikation der Stilformen wurde jedoch vom Orden mit begünstigt.

 

Insgesamt kann man also von keiner einheitlichen zisterziensischen Stilform reden, eher sind lokale und allgemeine stilistische Einflüsse der Epoche zu beobachten. Gleichzeitig lassen sich jedoch direkte, dem Orden zuzuordnende Beeinflussungen nachweisen, die eine teilweise Begünstigung bestimmter Bauformen nahe legen. Ein gemeinsames ästhetisches Raumempfinden liegt sicher mehr in der Mode der Zeit begründet als in einem einheitlichen Plan, ergeben jedoch bei gleichen oder ähnlichen geistigen Grundvoraussetzungen eine Wiederholung der Muster und Formen, die uns als subjektive Betrachter einen einheitlichen oder zumindest verwandten Raumeindruck vermitteln.